JOHN PRINE
JOHN PRINE / THE TREE OF FORGIVENESS
Die Neun-Meilen-Zigarette fürs Jenseits
Wer hätte es gedacht: 13 Jahre nach seinem Grammy-Siegeralbum „Fair and Square“ kommt Countrylegende John Prine mit einem Alterswerk daher. Auf dem „Tree of Forgiveness“ (erscheint am 13. April) hat die Melancholie aber immer etwas Augenzwinkerndes.
Nashville
Eine Familie hatte er mal, der Held des Songs. Sie sind aber alle längst auf und davon. Jetzt hat er gar niemanden mehr, könnte ein wenig Hilfe gut brauchen. Klampft auf seiner Gitarre herum, kickt Dosen die Straße lang und ist nur noch Haut und Knochen. Erinnert sich an die alte Veranda, an die Geleise, die man durch die Wäsche an der Leine summen hörte. Er träumt von einem Segelboot und schaut am Ende noch mal bei ihr vorbei. „Knockin‘ on Your Screen Door“ ist so ein Song voller Sonnenlicht und Sommertraurigkeiten. Die Jahre sind gezählt, die Stimme ist mit jenem Staub belegt, wie er an sonnigen Morgen im Licht leerer Kneipen tanzt, ein Timbre voller Herbst. Und trotzdem ist da immer noch Humor übrig. Der Sound: Country, altmodisch, cool, so wie man ihn früher machte.
Überzeugende Rückmeldung nach 13 Jahren Albumpause
John Prine, 71-jähriger Songwriter aus Illinois hat 13 Jahre nach dem Grammy-Gewinner „Fair and Square“ (bestes zeitgenössisches Folkalbum 2006) wieder ein Album aufgenommen. Es geht darauf um späte Dinge, um Vergebung, um den „Tree of Forgiveness“, eine Art trautes Gegenstück zum bedrohlichen Baum der Erkenntnis. Geschrieben hat er die launigen, witzigen, melancholischen Preziosen im Omni Hotel in Nashville, wo ihn seine dritte Ehefrau und Managerin, die Irin Fiona Prine, für eine Woche eingemietet hatte.
Schön heimlich zog er dort mit vier Gitarren ein, denn „wenn irgendwer mich gesehen hätte, wäre die Schlußfolgerung gewesen, dass es mit mir und Fiona aus ist.“ Aber ein Aufnehmen zu Hause kam für Prine nicht infrage, denn das Heimelige behindert die Kreativität – „Ich funktioniere besser in einem Hotel.“ Kein Druck, Room Service, Quiz-Shows im Fernsehen, Steaks im Steakhouse und Schreiben, wann immer die Musen auf den Schreibtisch flattern. Sie flatterten, und schon war man in Nashvilles Studio A am Aufnehmen.
Von Anfang an kam Prine bei Musikerkollegen an
John Prine gehört hierzulande nicht zu den berühmtesten Countrystars. Bis 1971 war er Postbote, dann erschien das selbstbetitelte Debüt. Kris Kristofferson und Paul Anka verschafften ihm einen Vertrag bei Atlantic Records. Die ersten Platten waren Regalblei, das indes bei Musikerkollegen gut ankam. Prine war ein Echter hatte feine Lebensbeobachtungen in seinen Texten.
Das fanden auch Leute wie Johnny Cash, der sein „Sam Stone“ vom ersten Album aufnahm, den harten Song über einen Vietnamheimkehrer, der auf Droge ist und seine Familie in den Abgrund treibt: „Da ist ein Loch in Daddys Arm, wo all das Geld hinein verschwindet / Jesus ist für gar nichts gestorben, glaube ich“. Die Perspektive eines hoffnungslosen Kindes.
Die Perspektive konnte auch die einer alten Frau sein wie in seinem berühmtesten Lied, „Angel of Montgomery“. Er habe immer eine Affinität zu alten Leuten gehabt, gestand er jüngst der US-Ausgabe des Rolling Stone. 22 Jahre alt war er damals, aber die Zeilen klangen authentisch. Er hatte als Briefträger die theatralischen alten Leute in einem Altenheim erlebt, wie sie ihn vorstellten, als wäre er ihr Neffe oder Enkel. Dem Leben letzte Bedeutung abtrotzten. Mit Würde und erhobenem Haupt an der unverkennbaren Endstation.
Die Patina der späten Stunde in der Stimme
Jetzt ist Prine selbst ein alter Mann, und seine Stimme hat die Patina der späten Stunde, klingt, als rauchte er Kette, was er nach einem Krebsbefund von 1996 nicht mehr macht, was er aber bis heute schmerzhaft vermisst. Diese Stimme singt zärtliche Liebeslieder wie „I have Left my Love Today“, rumpelt Humoresken wie „Crazy Bone“ mit Mike Webbs quirligem Saloonpiano. Oder seufzt wehmütige Folkballaden wie „Summer’s End“ mit tastendem Bass und dem Mellotron, das nach besonders traurigen Streichern klingt. Es sind bodenständige Geschichten, Schicksale, denen man andächtig lauscht. Keine metaphernreiche, zu enträtselnde Poesie. So geradeheraus hat Prine immer erzählt
Auch die Geschichte von den „Losesome Friends of Science“ wird kein Hit werden, aber vielleicht ein Klassiker. Gleiches gilt für „Boundless Love“, ein zartes Liebeslied, an dem Black-Keys-Mann Dan Auerbach mitschrieb. Das Album schließt mit „When I Get To Heaven“, und es gibt kein Weh und Ach über den letzten Vorhang. Sondern eine burlesk vertonte Liste fürs Jenseits: Rock’n’Roll Band gründen, Cocktails trinken, Mädel küssen und die Armbanduhr abstreifen, denn Zeit ist dann ja genug. Und natürlich lang verkniffene Leidenschaften neu beleben – eine Zigarette rauchen, eine, die neun Meilen lang ist.
Von Matthias Halbig/RND bei haz.de