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CD-Tipps

BORIS PILLERI’S JAMMIN’

BORIS PILLERI’S JAMMIN’ – THE BLUES NEVER SLEEPS

Boris Pilleri ist letztes Jahr an Corona erkrankt und hatte Lähmungserscheinungen. In den Beinen, in den Hüften und dann vor allem auch in den Händen. «Ich will nicht jammern. Aber auch die Ärzte wussten keinen Rat. Niemand wusste etwas und auch nicht, ob das Gefühl je wieder zurückkommen würde», sagt er.

Wochenlang blieb alles taub. Immer wieder griff er nach seiner Gitarre, versuchte verzweifelt, ein paar Akkorde zu spielen. «Es war schrecklich. Da ist mir wieder bewusst geworden, wie viel mir die Gitarre bedeutet in meinem Leben.» Er wisse nicht, was er gemacht hätte, wenn das Gefühl nicht wieder zurückgekommen wäre. «Darüber will ich gar nicht nachdenken.»

Muss er auch nicht. Das Gefühl kam zurück. Am Donnerstag wird er mit seiner Band Jammin’ sein neues Album in der Mühle Hunziken taufen. Das ist auch der Grund für das Treffen mit diesem Mann, über den es in der Musikszene einhellig heisst, er sei einer der besten Bluesgitarristen des Landes. Viele Musikerinnen und Musiker wählen im Alter eher die Reduktion, Pilleri richtet nochmals gross an: mit Bläsern und Rhythmikern. «The Blues Never Sleeps» ist ein drahtiges, spielfreudiges und vor allem opulentes Blues- und Funk-Werk geworden – mit einem satten, hochenergetischen Big-Band-Background. Mit Covers von Johnny Guitar Watson und Chuck Berry sowie eigenen Kompositionen. Der Beat ist schwer, die Stimme kratzig-kraftvoll, die Gitarre gewohnt kernig. Die Songs sind non- chalant und doch eindringlich.

Irgendwie seien ihm die Big-Band-Platten seines Onkels wieder in Erinnerung gekommen, von Glenn Miller bis Louis Armstrong, sagt er. Dazu kam seine Lust am Rhythm n’ Blues, am Funk, die er seit einigen Jahren auslebt. Gerade Johnny Guitar Watson hat es ihm angetan. «Er war auch politisch – aber mit einem Lächeln. Das gefällt mir», sagt Pilleri. Kurz: «The Blues Never Sleeps» ist ein weiteres glänzendes Stück im Mosaik dieser 46 Jahre dauernden Marathonkarriere.

Klink in Bolligen

Angefangen hat alles im beschaulichen Bolligen, wo Boris Pilleri als mittlerer von drei Brüdern aufwuchs. Seine ersten Konzerte spielte er im angesagten Club Klink. Damals nannte sich seine Band noch Jammin’ the Blues und orientierte sich an Alvin Lee und dessen Band Ten Years After. Pilleris Spiel war so gut, so kraftvoll und vor allem so temporeich, dass sich das herumsprach und Bern bald zu klein wurde für diesen Ausnahmegitarristen. Jammin’ arbeiteten sich gewissermassen von Schulhaus-Aulen bis in die Vorprogramme von Grössen wie Albert Collins, John Mayall oder Eric Burdon. Plötzlich spielte die Band auf den grossen Bühnen, gaben ab 1977 bis zu 80 Konzerte pro Jahr.

Dabei wechselte die Formation immer wieder. Musiker kamen und gingen, nur Pilleri blieb. Die vielen Wechsel hatten auch ihr Gutes. Am erfolgreichsten waren Jammin’ Ende der 1980er-Jahre, als sich der Schlagzeuger Tom Beck und danach – nacheinander – die Bassisten Daniel Hänggi und Roland Sumi mit Pilleri zum Powertrio zusammenschlossen, das neben dem Blues auch dem Funk und dem Hardrock frönte. Fünf Alben erschienen, auch mal bei der Major-Plattenfirma Polygram. «In unseren besten Zeiten konnten wir von den Konzerten leben», sagt Pilleri. Gerade im Osten, noch hinter dem Eisernen Vorhang, waren Jammin’ gefragt. In Ungarn gehörten sie gar zu den populärsten Bands. Das kam, weil Istvan, ein Kellner im Berner Café Aarbergerhof, sie einst gefragt hatte, ob sie nicht einmal in Ungarn spielen wollten. Und das taten sie dann auch. Zum Glück.

Freedom Festival 1990

Zum Glück, weil dieses Engagement zur unerwarteten Sternstunde in Boris Pilleris Karriere führte. Mit dem Freedom Festival feierte man im Sommer 1990 in den USA den Fall der Berliner Mauer. Mehrere Hunderttausend Zuschauer sollen an das Monsterkonzert in Philadelphia gekommen sein, das auch im Fernsehen übertragen wurde. Crosby, Stills & Nash traten auf, Bo Diddley, The Hooters, Richie Havens und eben auch Jammin’ – als einzige Schweizer Band. «Die Einladung nach Philly verdankten wir dem Umstand, dass wir als westliche Band viel im Osten gespielt hatten», sagt Boris Pilleri.

Wenn man das alles über ihn liest und hört, könnte man ein bisschen ehrfürchtig werden. Wenn man Boris Pilleri dann trifft, ist alles ganz anders. Er wirkt hart, ist aber zart, schüchtern und bescheiden, mit lieben Hundeaugen. All die Zuschreibungen sind ihm denn auch gar nicht recht. Er habe nicht das Gefühl, richtig gut zu sein. Deshalb spiele er auch heute noch jeden Tag Gitarre. «Weil ich üben muss.» Er sei kein wahnsinniger Techniker, fühle sich immer noch begrenzt.

Es sind die Ängste und Zweifel eines Autodidakten. Schon im Kindesalter kommt er über einen Schulkameraden zu einer ersten elektrischen Gitarre. Als Achtjähriger hört er das erste Mal Platten von Ten Years After und B. B. King und wird davon magisch angezogen. «Ich konnte die Songs relativ schnell spielen, ohne dass ich gross üben musste. Es war einfach da, ich weiss bis heute nicht, wie.» Er will auch das nicht als aussergewöhnlich ansehen. Er sagt lediglich: «Wenn man in jungen Jahren einen Zugang zu etwas findet, egal was es ist, dann ist vieles möglich.» Das wurde es. 46 Jahre lang haben ihn die Gitarre und der Blues um die halbe Welt getragen. Weit über 1000 Konzerte hat er gespielt. «Ohne den Blues wäre ich nichts», sagt er. «Ich würde wohl nicht einmal Gitarre spielen. Deshalb bin ich auch so unglaublich dankbar.»

Und was kommt noch? «Alles ist ja schon mal da gewesen», sagt er. «Es geht darum, mutig zu sein, dranzubleiben und ein Quäntchen Eigenes zu schaffen.» Eigentlich hat er im Moment aber vor allem einen Wunsch: Er würde gern viel öfter auftreten können. Das ist – offenbar auch für eine Legende wie ihn – gar nicht so einfach. Gerade nach der Pandemie.

(von Martin Burkhalter «Der Bund»)

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