VAN MORRISON
VAN MORRISON / ROLL WITH THE PUNCHES
Was ist von Van Morrison noch zu erwarten? Der Cowboy aus Belfast zeigt auf seiner neuen, mit Freundeshilfe eingespielten Platte das Herz eines Boxers. Damit ist der alte Haudegen für eine besondere musikalische Überraschung gut.
Im Alter ist man nicht mehr so gerne allein, und da mag es wohl sein, dass selbst der konsequenteste Einzelgänger am Ende noch gesellig wird. „Genius Loves Company“ hieß die letzte Ray-Charles-Platte, auf der sich das „einzige wirkliche Genie im Showgeschäft “ (so Frank Sinatravon einer eher unbekannten Seite zeigte. Die mit Duetten gespickte, kurz vor Charles’ Tod im Juni 2004 fertiggestellte Kollektion wurde kommerziell und bei der Kritik ein vom Rückenwind der Todesnachricht wahrscheinlich mit begünstigter, in diesem Ausmaß aber doch unerwarteter Erfolg; sie bekam dreimal Platin und acht Grammys.
Van Morrison war auch darauf vertreten und animierte den Alten zu seinem „Moondance“-Heuler „Crazy Love“ (1969). Auch wenn der mittlerweile Zweiundsiebzigjährige in seiner zweiten Karrierehälfte schon unterschiedliche Zusammenarbeiten einging – mit den Chieftains, mit Georgie Fame, Mose Allison, einmal sogar mit John Lee Hooker –, so muss man ihn doch zu den großen Eigenbrötlern der Rockgeschichte zählen, die auf anderer Leute Mitwirkung oder Ideen nicht angewiesen sind. Letztlich ist es bei diesen Eigenständigen sogar so: Jede Kollaboration wirkt wie eine Verlegenheitslösung, so auch Morrisons Doppelalbum „Duets: Re-working The Catalogue“ (2015), das sich im Wesentlichen auch noch mit Neufassungen eigener, älterer Lieder begnügte und trotz der schon fast überragend prominenten Mitwirkung von durchwachsener Qualität war.
Mit Hilfe von guten Freunden
Nun kommt er uns schon wieder with a little help from his friends, aber sein in der nächsten Woche erscheinendes, siebenunddreißigstes Studioalbum läuft ganz unter eigenem Namen: „Roll With The Punches“. Jeff Beck, Chris Farlow, Paul Jones und Georgie Fame, die, wie Morrison selbst, immer noch in der Schwergewichtsklasse des britischen Blues kämpfen, werden es verschmerzen können und auch kaum auf einer namentlichen Nennung auf dem Cover bestanden haben. Einer tut dem anderen einen Gefallen, daraus muss man keine große Sache machen, und wenn dieser eine oder andere dann auch noch so unfassbar lange im Geschäft ist – nämlich in diesen Fällen eher sechzig als fünfzig Jahre –, dann umso lieber. Van Morrison wäre aber nicht Van Morrison, wenn er nicht auch diese inoffizielle Honoratiorenversammlung seiner unvergleichlichen Prägekraft unterzöge, dezent und kollegial zwar, aber doch jederzeit spürbar. Die Kollegen fügen sich hilfreich, aber – oder sagen wir besser: also unauffällig ein; selbst Jeff Beck verhält sich rein assistierend.
„Bring It On Home To Me“ von Van Morrison (vom Album „Roll With The Punches“) © VanMorrisonVEVO
Mit den Schlägen (des Lebens) zurechtkommen: Das kann man entweder, indem man sie gar nicht erst einsteckt und ihnen tänzelnd ausweicht oder indem man Nehmerqualitäten entwickelt, was dann naturgemäß weniger elegant wirkt. Das Herz des Boxers Van Morrison war immer schon schwer und er selbst – nun ja, „unbeugsam“ wäre dafür ein zu schwacher Ausdruck. Es gibt wenige Blues- und Soulmusiker, die dermaßen halsstarrig an ihrer Sache festgehalten haben oder, positiv formuliert, so selten vom Weg abgekommen sind wie er.
Wie das so ist mit diesem alten Meister: Auch wenn er selbst praktisch keinen Einfluss mehr auf die musikalischen Zeitläufte hat, so nimmt man seine in den vergangenen Jahren wieder etwas regelmäßiger gewordenen Veröffentlichungen respektvoll, freilich auch ohne besondere Erwartungen zur Kenntnis. Zu erfinden gibt es auch für ihn schon lange nichts mehr.
Verblüffende Kraft der Stimme
Der „Punch“, den er jetzt austeilt – und dann kann man es auch gut sein lassen mit den Box-Metaphern –, ist allerdings unerwartet hart. Lange hat man Van Morrison nicht mehr so konzentriert und kraftvoll gehört; die neue Platte gehört ohne Zweifel zu seinen besten der vergangenen dreißig Jahre. Das dürfte auch daran liegen, dass er, der sich immer schon auf den flow seiner Musik eingelassen hat, es diesmal besonders rückhaltlos und im vollen Vertrauen auf seine Instinkte tut. Jeder Song sei eine eigene Geschichte, teilte er unlängst mit, und er performe sie: „That’s been forgotten over years because people over-analyse things.“ Vermutlich gibt er deswegen so gut wie keine Interviews.
Was gäbe es trotzdem zu sagen, zu analysieren? Nun, der Titel- und Auftaktsong ist Blues, wie ihn Muddy Waters auch nicht reiner und suggestiver hinbekäme, ein Lebensratschlag, der einen geradezu umhaut: „Dont try to figure out, who is wrong and who is right …You got to go with the flow… Roll with the punches, that’s one thing I know“. Es ist eben Musik jenseits von Richtig oder Falsch, Gut oder Böse, (für ihn) die einzig überhaupt mögliche vielmehr. Damit hat er’s weiß Gott! weit gebracht.
Es verblüfft auch, welche Kraft und Klarheit seine Stimme, die in den vergangenen Jahren schon mal ins ungute Grunzen abrutschte, inzwischen wieder besitzt. Zu spüren ist die neugewonnene Autorität besonders in „I Can Tell“, einem von Bo Diddley und Sam Smith 1962 geschriebenen R&B-Shuffle, den Morrison genauso im Griff hat wie die übrigen Blues- und Jazz-Standards. Es gehört zu seinen bemerkenswertesten Eigenschaften, dass sich eigenes und fremdes Material in seiner spezifischen Interpretation kaum voneinander unterscheiden. Dieser Mann, der aus tieferen Tiefen schöpft als die meisten anderen, verleibt sich alles gleichermaßen ein; er kultiviert keinen Stil, sondern ist selbst dessen direkter Ausdruck. (aus FAZ, von Edo Reents, Verantwortlicher Redakteur für das Feuilleton)