Home

CD-Tipps

LUCKY WÜTHRICH

LUCKY WÜTHRICH – MY KIND OF MUSIC

Anstelle einer Plattenkritik hier der Beitrag, welchen Martin Burkhalter für die Berner Zeitung geschrieben hat.

«Man gibt so viel, und am Schluss fühlt man sich oft leer»

Der 27-jährige Bluesmusiker hat einen schwindelerregenden Aufstieg hinter sich. Das zweite Album war eine Prüfung. Jetzt fühlt er sich an einem Scheideweg.

Da sitzt er im Garten des Jazzhotels Innere Enge in der Frühlingssonne. Er trägt Hut und Sonnenbrille. Vor sich hat er eine Tasse Tee, er raucht und hat die Beine ausgestreckt. Das sieht alles sehr entspannt aus. Doch in all der Lässigkeit blitzt auch Erschöpfung auf – und Ruhelosigkeit.

Und weil Lucky Wüthrich sein Herz auf der Zunge trägt, sagt er auch schon bald etwas, das vieles erklärt: «Die Musik ist alles für mich. Aber es fällt mir wahnsinnig schwer, abzuschalten. Ich arbeite pausenlos. Manchmal Tag und Nacht. Und das macht mir zu schaffen.»

Philipp Fankhauser, Mentor

Lucky Wüthrich erlebt ja auch aussergewöhnliche Zeiten. Er ist erst 27 Jahre alt und gilt schon jetzt als einer der besten Bluesmusiker des Landes. Er ist ein ungemein vielseitiger und ungewöhnlich reifer Gitarrist. Seine selbst geschriebenen Songs erzählen angenehm ungekünstelt aus seinem Leben. Seinem souligen Bariton könnte man ewig lauschen, und seine Auftritte sind kraftvoll und doch lässig. Der Blues tropft nur so aus ihm heraus. Es ist, als wäre er als Kind in den Blues-Zaubertrank gefallen.

Nun, so war es nicht. Oder vielleicht doch? Zumindest irgendwie verzaubert wurde er schon. Als er 13 Jahre alt war, sah er im Berner Bierhübel ein Konzert von Philipp Fankhauser und wollte ab da nichts anderes mehr werden als Bluesmusiker. Mit 14 Jahren gab er bereits sein erstes Konzert in seiner Heimatstadt Thun. Auch im Publikum: Philipp Fankhauser, der ihn ab da förderte.

Später schloss Lucky Wüthrich zwar noch eine Lehre zum Logistiker ab, wusste aber schon längst, dass er alles auf die Musik setzen wollte. Ende 2021 veröffentlichte er sein gefeiertes erstes Album «Steady» – produziert von Philipp Fankhauser.

Seither zieht Lucky Wüthrich Blues spielend durchs Land. Fast 150 Konzerte hat er in den letzten zwei Jahren gegeben, davon vier unlängst in Ostafrika.

Er fliegt und hat doch manchmal das Gefühl zu fallen.

«Die Stille nach den Konzerten macht mir manchmal Mühe», sagt er. «Man gibt so viel, und am Schluss fühlt man sich oft leer. Du ziehst dich um, verkaufst vielleicht noch eine Handvoll CDs, räumst dein Zeug von der Bühne, danach aber ist niemand mehr da. Da kann man sich schon sehr einsam fühlen.»

Ausverkaufte Mühle Hunziken

Am Freitag, 16. Februar 2024 wird er in der ausverkauften Mühle Hunziken sein zweites Album taufen. «My Kind of Music» heisst es. Es war eine Prüfung. Eigentlich hätte Philipp Fankhauser auch dieses zweite Werk mitproduzieren sollen. Doch dann erkrankte er schwer und musste sich einer Knochenmarktransplantation unterziehen.

Plötzlich war Lucky Wüthrich auf sich allein gestellt. Das Studio, die Musiker, alles war aber bereits gebucht. «Es war sehr hart, aber auch sehr lehrreich», sagt er. «Es gab Momente, da dachte ich, jetzt kann ich nicht mehr. Aber heute bin ich sehr stolz, dass ich drangeblieben bin und auch daran wachsen konnte.»

Alles habe er für dieses Album auf den Tisch gelegt, sagt er. All sein Geld, sein Können, seine Energie, einfach alles. «Deshalb bin ich jetzt auch an einem Punkt, an dem ich mir keine Vorwürfe machen muss. Wer dieses Album hört, hört alles, was ich bis heute bin.»

Tatsächlich ist «My Kind of Music» wie eine Pralinéschachtel. Vielfältiger, abwechslungsreicher und vor allem: jünger und moderner klingt es als das Debüt. Klassische Blueslieder sind eher die Ausnahme. Dafür finden sich neben kernigen Funk- und Soulstücken auch knisternde Countryblues-Balladen und sogar ein paar leuchtende, vom Pop angehauchte, Liebeslieder.

Einen roten Faden gibt es eigentlich nicht, ausser vielleicht den, dass Lucky Wüthrich wieder aus seinem Leben erzählt und nicht versucht, etwas zu sein, was er nicht ist. Das klingt zwar manchmal nicht ganz so nonchalant wie auf dem ersten Album, zeigt aber, dass Lucky Wüthrich fast alles kann.

Alterndes Blues-Publikum

«Ich merke halt schon, dass das Blues-Publikum immer älter wird» sagt er. «Ich möchte aber auch in 20 Jahren noch auftreten können. Deshalb habe ich mich musikalisch geöffnet.»

Und nennt dann gleich einige Namen: John Mayer, Marcus King oder Gary Clark Jr. Deren Fundament sei auch der Blues, sie hätten aber keine Angst davor, auch mal ein Pop- oder ein Countryalbum herauszubringen. «Ich will zeigen, dass ich kein One-Trick-Pony bin und mehr als nur die drei Bluesakkorde spiele», sagt er und lacht.

Er hat ihn gespürt, den Druck. Und spürt ihn noch. Wenn die Zeitungen schreiben, er sei jetzt der neue Stern am Blueshimmel, ist das nicht nur einfach. «Wie soll man da nur weitermachen, wie ein zweites Album herausbringen?», fragt Lucky Wüthrich und gesteht: «Eine Zeit lang war ich etwas blockiert.»

Hamsterrad und Seifenblase

Gekämpft hat er, gelitten und dann einfach gemacht. Und jetzt ist es da, das neue Album und mit ihm auch die Erwartungen. Das nächste Jahr werde entscheidend sein, sagt er, es werde zeigen, ob das alles nachhaltig sei, ob er sich tatsächlich in der Szene habe etablieren, ob er noch grössere und eben auch besser bezahlte Konzerte werde spielen können. «Ich fühle mich an einem Scheideweg. Es kann in alle Richtungen gehen», sagt er. «Ich wäre nicht abgeneigt, meine Fühler auch international auszustrecken.»

Und dann, gegen Ende des Gesprächs, lehnt er sich in seinem Stuhl zurück, schaut hinüber zum Hotel, mit dem Marians Jazzroom im Untergeschoss, und sagt, dass er sich oft wie in einer Seifenblase vorkomme. In einer unwirklichen Welt und manchmal auch wie in einem Hamsterrad. «Ich könnte das alles nicht machen, wenn mir die Musik nicht so wichtig wäre. Sie gibt mir Sinn.»

Viele meinten ja, er sei sehr erfolgreich. Doch das sei eben nur die halbe Wahrheit. Finanziell lohne sich das alles noch nicht. Die meiste Zeit der Woche verbringt Lucky Wüthrich auch nicht mit Musikmachen, sondern mit dem Organisieren von Auftritten, dem Orchestrieren seiner Karriere. Deshalb liebe er den Marians Jazzroom ja auch so, sagt er. «Hier bleiben Musikerinnen und Musiker eine Woche lang und spielen jeden Abend zwei Konzerte. Hier ist alles noch eine Spur echter. Das Marians ist für mich wie ein Tor in die echte Blueswelt.»

Martin Burkhalter ist Kulturredaktor und schreibt über Pop-, Rock- und Jazzmusik, über popkulturelle und gesellschaftliche Themen. Am liebsten ist er in Kulturlokalen unterwegs und schreibt auf, was er dort hört und sieht.