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CD-Tipps

MAVIS STAPLES

MAVIS STAPLES / WE GET BY

Im Sommer wird sie achtzig Jahre alt, die letzte lebende Königin einer Musik, die sich von Memphis aus, wo Martin Luther King erschossen wurde, in der Welt verbreitete, als schönster Soundtrack einer offenen Gesellschaft. Soul, hat Mavis Staples selbst immer gepredigt, sei die klingende Weltsprache des Humanismus. Was nie hieß, dass Soulsänger, wenn andere schreien, nicht auch schreien dürfen: „Say it loud, say it clear/ Gotta change around here“, so fängt ihr neues Album an. Besungen werden fliegende Kugeln, Mord und Totschlag auf den Straßen, „Change“, der Song, berichtet vom Revival des Rassismus.

„Change“ stammt nicht von ihr, sie ist die Stimme, sondern von Ben Harper, ihrem Produzenten. „We Get By“, das ganze Album, ist von ihm. So hat es Mavis Staples immer gern gehandhabt: Wie Bob Dylan ihr früher die Songs geschrieben hat, dann Curtis Mayfield, Prince, Ry Cooder und zuletzt Jeff Tweedy, ist es nun Ben Harper, selbst als Soulsänger berühmt dafür, eine Art neuer Marvin Gaye zu sein. Sie möchte wiederum nicht mehr sein als sein Medium. „Mein Gott, er sagt in diesen Songs alles, was heute notwendig und richtig ist“, sagt Mavis Staples, und Ben Harper sagt: „Das beste, was man tun kann, wenn sie singt – den Aufnahmeknopf drücken und verschwinden, um ihr nicht im Weg zu sein.“

Das Albumcover zeigt ein Foto aus den Fünfzigern im Süden: Schwarze Kinder sehen weißen Kindern in einem Vergnügungspark beim Spielen zu, getrennt durch einen hohen Zaun. Auch die Musik könnte von damals sein, aber auch aus den Sechzigerjahren, als Sam Cookes „A Change Is Gonna Come“ gemeinsam mit Bob Dylans „Like a Rolling Stone“ die Hitparaden in Amerika beherrschte und James Brown rief: „Say it loud, I’m black and proud!“ Dass alles, was Ben Harper jetzt mit Mavis Staples und ihrer Tourneeband aufgenommen hat, genauso gut ins Jahr 2019 passt, geht über die grassierende Soulretromanie hinaus. Es ist eine politische Pointe.

Was nicht nur dort, wo der Soul erfunden wurde, vor sich geht, ist eine finstere Sozialretromanie: Alles soll, auch im Sinne des amtierenden Präsidenten, wieder weiß und schwarz, männlich und weiblich, gleich und fremd sein. Dagegen singt Mavis Staples so beharrlich, großmütterlich und bewegend an wie schon zur Amtseinführung von Barack Obama, im vergangenen Jahr mit Dolly Parton und nun in Protestliedern wie „Anytime“, „Brothers and Sisters“ und am Ende „One More Change“, der Hymne auf ein neues Zeitalter, das ebenfalls so wäre wie ein altes, aberanders. Retro gegen retro. (welt.de)

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